Die Siebenbürgische Kantorei
Chronologie einer einmaligen siebenbürgischen Einrichtung

 

Wenn in einem Konzertprogramm oder einer Zeitungskritik über einen Musiker berichtet wird, geschieht das meistens nach dem gleichen Schema: kurzer Lebenslauf - wann, wo und bei wem er gelernt hat - wann, wo, wie oft und womit er aufgetreten ist - eventuell ein paar Zukunftsvor-haben. Die Siebenbürgische Kantorei (im Weiteren kurz Kantorei genannt) will ich hier nach dem gleichen Schema vorstellen.

Bei der Gründung dieses siebenbürgischen Kirchenchors diente als Modell der von dem leider viel zu früh verstorbenen Kurt Martin Scheiner in Deutschland gegründete Chor ehemaliger Hermannstädter Schüler. Auf Initiative von Pfarrer Wieland Graef, zu der Zeit stellvertretender Vorsitzender des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen, kamen am 26. Dezember 1987 in Bergalingen im Südschwarzwald 20 Kirchenchorsänger und -sängerinnen (im Weiteren kurz Sänger genannt) zusammen, um unter der Leitung von Pfarrer Dieter Barthmes - so hieß es in der Einladung - "größere Werke siebenbürgischer Komponisten zu erarbeiten, welche gelegent-lich des für den 2.-4. September 1988 in Heilbronn geplanten 22. siebenbürgisch-sächsischen Kirchentages zur Aufführung gelangen soll(t)en". Das war die Geburtsstunde der erst später so benannten Siebenbürgischen Kantorei.
Die 20 Gründungsmitglieder waren zum Teil ehemalige Mitglieder der Kirchenchöre von Kronstadt, Hermannstadt und Schäßburg, erfreulicherweise beteiligten sich aber von Anfang an auch Nicht-siebenbürger. Die "Pioniere" der Kantorei waren, neben ihrem Initiator Wieland Graef und ihrem ersten künstlerischen Leiter Dieter Barthmes, namentlich Ursula, Heinz und Harald von Hochmeister, Julius und Minedora Henning, Marianne, Otmar, Johanna und Bärbel Danek, Inge Weis, Ursula Weis, Anni Dörner, Irmgard Jeschawitz, Albert Fröhlich, Antje Neumann, Gudrun Csohany sowie Irmgard und Frieder Latzina.

In dieser ersten Singrüstzeit vom Jahresende 1987 sowie am Probenwochenende vom 26. bis 28. August 1988 in Esslingen wurde das Programm für das erste eigenständige Kirchenkonzert erarbeitet, und beim allerersten Auftritt der Kantorei, am 3. September 1988 in der Nikolai-Kirche Heilbronn, wurden Werke der siebenbürgischen Komponisten Georgius Ostermayer, Rudolf Lassel, Franz Xaver Dressler und Ernst Irtel mit großem Erfolg dargeboten.
In seiner Kritik schrieb Karl Teutsch in der Siebenbürgischen Zeitung vom 30. September 1988 über das Konzert: "… war es sicherlich ein außergewöhnliches musikalisches Ereignis, und auch insoweit denkwürdig, als es sich um die seltene Darbietung eines rein siebenbürgisch-sächsischen Pro-gramms handelte. Dem vielversprechenden Singensemble ist nun zu wünschen, dass ihm auch weiterhin die nötige Energie und der unentbehrliche Idealismus erhalten bleibt." Und wenig später hieß es in der Neuen Kronstädter Zeitung: "… richten sich große Hoffnungen der siebenbürgischen Musikpflege auf diesen Chor."

Die Gründung eines siebenbürgischen Kirchenchors war jedoch kein Selbstzweck, vielmehr stellte sich der Chor die Aufgabe, geistliche Musik, insbesondere von siebenbürgischen Komponisten, bekannt zu machen und weiterzugeben - und es war für die Chormitglieder eine besondere Freude Gebende zu sein. Wir sind ein Kirchenchor ohne eigene Kirche, und unsere Zusammenkünfte, die immer an verschiedenen Orten stattfinden, bieten Gelegenheit sowohl zum Proben als auch für Auftritte.
Von Anfang an traf sich die Kantorei in der Regel zweimal jährlich zu sogenannten Singrüstzeiten. An der zweiten Rüstzeit, die zum Jahreswechsel 1988/89 erneut in Bergalingen stattfand, nahmen bereits 30 Sänger teil. Dabei wurde am 30. Dezember 1988 die Siebenbürgische Kantorei auch dem Namen nach aus der Taufe gehoben und es wurde ein Vorstand gewählt. Die ersten "Amtsträger" waren als 1. Vorsitzender Otmar Danek, sein Stellvertreter Horst Brestowsky, als Notenwart Heinz von Hochmeister, Archivar Frieder Latzina und Verbindungsmann zum Hilfskomitee Wieland Graef. Bei der dritten Singrüstzeit, vom 28. April bis 1. Mai 1989 in Herrenberg/Böblingen, waren 44 Sängerinnen und Sänger anwesend und bei der vierten in Löwenstein wiederum 37.

Betrachtet man die "ewige Anwesenheitsliste", die hier aus Platzgründen leider nicht aufgeführt werden kann, so drängt es einen, daraus einige statistische Daten wiederzugeben: Zu den Rüstzeiten kamen die Sänger über all die Jahre aus der ganzen Bundesrepublik zusammen und trugen den Großteil der Kosten selber - wohl mit einer der Gründe für die relativ große Fluktuation. Wenn sich der heutige "harte Kern" bei 24-27 von 31 Sängern bewegt, waren seit der Gründung insgesamt 159 Sänger dabei. Von diesen sangen 15 Sänger nur einmal mit, 17 zweimal usw. Von den Gründungsmitgliedern sind heute noch vier aktiv, ich selber war zweiundsechzigmal dabei.
Es gab im Laufe der Jahre insgesamt 65 Rüstzeiten, davon dauerten einige wenige nur einen Tag, die meisten jedoch vier bis sechs und einzelne gar zehn Tage. Die Beteiligung schwankte zwischen 17 und 52 Sängern und hat sich derzeit, wie bereits erwähnt, auf 24-27 eingependelt.
Um bei der Statistik zu bleiben: Die Kantorei hat in insgesamt 83 Kirchen gesungen, von Dortmund bis Kapstadt, von Dinkelsbühl bis Kronstadt und von Heilbronn bis Prag, und das hundertsechsundvierzigmal. Denn in manchen Kirchen wurde nur einmal, in anderen aber öfter gesungen, so z. B. in der Evangelischen Kirche Schömberg zwölfmal, in der St. Pauls-Kirche Dinkelsbühl fünfzehnmal, in der Killians-Kirche Wüstenrot viermal und in der Schlosskirche Stuttgart dreimal. Von den 65 Treffen waren sechs mit Auslandsreisen verbunden: 1996 nach Südafrika, 1999 nach Rumänien (Siebenbürgen und Bukarest), 2002 (zusammen mit dem Chor der Musikschule aus Rottenburg a. d. L.) in die Tschechische Republik, 2006 nach Frankreich, 2007 nach Luxemburg und 2008 nach Kreta.

Die Reihe der Rüstzeiten lässt erkennen, dass in der über zwanzigjährigen Proben-Aktivität der Kantorei vier Epochen unterschieden werden können: die Anfangszeit, bis 1994, wo man sich zur Sommerrüstzeit im Gästehaus der Diakonieschwesternschaft in Herrenberg traf, dann die Zeit bis 1998, die Schömberg-Zeit, mit Rüstzeiten in der schönen Schwarzwaldgemeinde, in der Wieland Graef Gemeindepfarrer war, anschließend, bis 2002, die Rottenburg-Zeit, als Ilse Maria Reich, seit dem Jahreswechsel 1995/1996 zweite Kantorei-Dirigentin, dahin zur Rüstzeit einlud, wo sie Kantorin und Musikschulleiterin war, und von da an bis heute die Bad Herrenalber Zeit.

Um die Statistik abzuschließen, möchte ich noch einiges über unser Repertoire sagen: Wir haben hauptsächlich Werke siebenbürgischer Komponisten einstudiert - Georgius Ostermayer, Johann Knall, Rudolf Lassel, Franz Xaver Dressler, Ernst Irtl, Helmut Sadler oder Hans Peter Türk. Das entspricht ebenso der bereits genannnten selbst gesetzten Aufgabe wie dem Ziel, die siebenbürgische Kirchenmusik zu fördern, sie einem breiten Publikum zu Gehör zu bringen und damit Denken und Fühlen, Geist und Glauben, Kultur und Musik der Siebenbürger Sachsen den Menschen in unserer neuen Heimat nahebringen und zu zeigen, dass wir nicht mit leeren Händen gekommen sind. Neben Stücken siebenbürgischer Herkunft bringen wir jedoch selbstverständlich auch Werke nichtsiebenbürgischer Komponisten zur Aufführung, seien es nun international anerkannte oder auch weniger bekannte - wie Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach, Hans Leo Hassler, Josef Rheinberger, Felix Mendelssohn-Bartholdy oder Hans Lang und Felicia Donceanu. Ferner haben wir viele bekannte Choräle, wie "Großer Gott, wir loben dich", "Der Mond ist aufgegangen" oder "Lobet den Herren, alle die ihn ehren", in den klassischen oder neuen, modernen Sätzen gesungen, aber auch anspruchsvolle größere Werke, wie die Motette "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete" von Franz Xaver Dressler, für Sopran-Solo und siebenstimmigen Chor, oder die "Psalmen-Kantate" von Helmut Sadler, für gemischten Chor, Posaune und Kontrabass aufgeführt. Gelegentlich traten wir nicht als Kirchenchor auf, sondern nahmen andere Aufgaben wahr, z. B. 1997, als wir beim ersten Siebenbürgischen Laienchorleiter-Treffen als Probenchor fungierten, um neben Kirchen- auch siebenbürgische Volksmusik darzubieten, oder 2002, als wir mit Chor und Orchester der Städtischen Musikschule Rottenburg a. d. Laaber die Gospelmesse "Mass of joy" von Ralf Grössler aufführten. Und wer 2009 in Dinkelsbühl war konnte uns als "Volksmusik"-Chor erleben, als wir mit viel Erfolg die Jubiläumsveranstaltung mit Liedern von Georg Myendt, von Prof. Heinz Acker neugesetzt für Soli oder gemischten Chor darboten. Gleichermaßen erwähnenswert ist die Tatsache, dass wir in unseren Programmen des öfteren Instrumentaleinlagen brachten, die fast immer von uns Chormitgliedern bestritten wurden.
Von Anfang an übernahm die Kantorei die musikalische Gestaltung der alle zwei Jahre stattfindenden Siebenbürgisch-Sächsischen Kirchentage. Daraus ergab sich dann für unsere Konzerte bei den Heimattagen in Dinkelsbühl, die in den Zwischenjahren stattfanden, der gleiche Rhythmus. Um jedes Jahr ein größeres Konzert sowie einen Festgottesdienst gestalten zu können, musste bei den Rüstzeiten entsprechend intensiv geprobt werden - bisweilen bis zu sieben, acht oder gar neun Stunden pro Tag. Doch blieb neben dem Singen naturgemäß fast immer auch etwas Zeit für das gesellige Beisammensein - das durfte nicht zu kurz kommen.
In der Anfangszeit gab es parallel zum Singen Malkurse für siebenbürgische Bauernmalerei, später dann Vorträge, zum Abschluss der Rüstzeiten "Bunte Abende" - und in den Pausen und an den Abenden gemeinsame Spaziergänge und viele gute Gespräche. Unser erster Dirigent, Pfarrer Dieter Barthmes, legte den Grundstein für unsere Arbeit und erweckte in vielen von uns die Liebe zur Kirchenmusik. Unter seiner Stabführung hatte die Kantorei ihre ersten großen Erfolge: bei den Siebenbürgisch-Sächsischen Kirchentagen in Heilbronn, Nürnberg, Worms und Böblingen und bei unseren Konzerten in Stuttgart oder Herrenberg.

Als Dieter Barthmes Ende 1995 aus beruflichen Gründen die Leitung der Kantorei leider abgeben musste, hatten wir das Glück, in Ilse Maria Reich eine ebenfalls erstklassige Dirigentin als Nachfolgerin gewinnen zu können. Unter ihrer Leitung sangen wir bei den folgenden Kirchentagen (in München, Frankfurt, Nürnberg, Heilbronn und Freiburg) sowie in den Jahren 1997, 2002, 2005, 2007 und 2009 bei den Heimattreffen in Dinkelsbühl. Auch unternahmen wir unsere sechs Auslandskonzertreisen und gaben unsere erste CD heraus.

Ab 1988 gab es, wie bereits berichtet, einen Chorvorstand. Doch wenn anfangs alle fünf Mitglieder ihre Aufgaben pflichtbewusst erledigten, so wurden im Laufe der Jahre immer mehr Pflichten nur noch von zweien wahrgenommen, von Wieland Graef nämlich alle, die mit der Organisation der Rüstzeiten zusammenhingen, und von mir alle die Noten betreffenden. Diese Aufgaben fielen mir fast automatisch zu, nachdem ich, seit 1994 im Ruhestand, 1997 meinen Musikverlag gegründet hatte. Und allmählich übernahm ich auch Wieland Graefs Tätigkeiten, so dass ich ab 2000 für die Kantorei alles erledigen durfte: sowohl die Organisation der Rüstzeiten, einschließlich der Kantorei-Konto-Verwaltung, als auch die Bereitstellung des Notenmaterials - was ich allerdings alles gern getan habe und weiterhin tue.

Ich möchte diese kurze Übersicht mit einem Blick in die Zukunft beenden.
Wir hoffen alle, dass "unserer" Kantorei noch viele erfolgreiche Jahre beschert sind, um so unserer Sendung, der Förderung siebenbürgischer Kultur, gerecht zu werden.

Frieder Latzina

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