Odessa und die Krim sind es wert besucht zu werden.

Eindrücke einer Chorkonzertreise der "Siebenbürgischen Kantorei" im Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen, vom 4.-11. August 2011
 
 

Einer zufälligen Begegnung und Bekanntschaft zwischen dem Evangelisch-Lutherischen Pastor von Simferopol Jörg Mahler und unserem Chormitglied Getraut Herbert aus Nürnberg zufolge, kam die Idee zu einer Krimreise zustande, die wir nach gründlicher Planung umsetzen konnten.

Mit der "Czech Airlines" flogen wir über Prag nach Odessa in die Ukraine. Viele unserer 33 köpfigen Reisegruppe, bestehend aus den Sängerinnen und Sängern der "Siebenbürgischen Kantorei" und einiger mitreisenden Ehepartnern, wussten wenig über die Ukraine, die Millionenstadt Odessa und die Krim und erwarteten mit Spannung die kommenden Tage.
Am 24.August 1991 gewann die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Besondere internationale Aufmerksamkeit erlangte die sogenannte Orangefarbene Revolution 2004 wo zwischen Westorientierung und Russlandbindung gerungen wurde. Bei den Wahlen 2010 siegte wieder die Russlandnahe Partei. In dem zweitgrößten europäischen Land leben 46 Millionen Menschen aus über 130 Nationalitäten, wobei rund 80 % der ukrainischen Ethnie angehören. Deutsche lebten in der Ukraine schon seit mehr als eintausend Jahren. Die gebürtige deutsche Zarin Katharina II. veranlasste eine riesige Einwanderungswelle deutscher Siedler anfangs des 19. Jahrhunderts in die Ukraine.
Schwerpunkte der Siedlungen mit über 300 ehemals deutschsprachigen Ortschaften waren Odessa und sein Umland, sowie die Halbinsel Krim, wo die als Schwarzmeer-Deutsche bezeichneten Siedler als Bauern und Handwerker sesshaft wurden. Stalins restriktive Umsiedlungspolitik 1937 und die Folgen der Kriegswirren des Zweiten Weltkriegs führten zur völligen Vernichtung der deutschen Siedlungen.

Odessa ist eine relativ junge Stadt, 1794 gegründet durch einen Erlass der Zarin Katharina der Grossen, von namhaften Architekten erbaut, deren multikulturelle Merkmale sich bis heute erhalten haben. Die Stadt hat sich als wichtige Handelsmetropole am Schwarzen Meer rasant entwickelt. Auch heute noch vermitteln die imposanten Straßenzüge mit den pompösen Häusern und den kunstvollen Balkonen mit vielen schmiedeeisernen Verzierungen den einstigen Reichtum wohlhabender Bürger.

Der Zerfall der Sowjetunion und die Entstehung des Staates Ukraine führten dazu dass die nationalen Minderheiten ihre religiöse Freiheit wieder erlangten. 1990 konnte in Odessa wieder eine Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde registriert werden. 1992 wurde die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine (DELKU) mit Sitz in Odessa gegründet. Es konnten Rückgabeanträge für Kirchenbesitz an den Staat gestellt werden. So wurde es möglich, die halbzerstörte Kirchenruine der ehemaligen Sankt Paulskirche auf dem "deutschen Hügel" wieder in Besitz zu nehmen und in mühevoller Arbeit zu sanieren. Es fanden sich Spender und Sponsoren. Vor allem hat die Bayerische Landeskirche große Hilfe geleistet. Es wurde ein modern eingerichtetes "Haus der Kirche" neben St. Paul gebaut, als ein zweisprachiges Begegnungs-Zentrum mit russisch und deutsch als Umgangssprache. Hier hat der Bischof der DELKU, Uland Spahlinger seinen Amtssitz und leitet 15 Pfarrer für über 3.000 Gemeindemitglieder ukraineweit in ihrer Arbeit. Der Bischof ist von der Bayerischen Landeskirche entsandt, ebenso wie der Pastor Jörg Mahler aus Simferopol, der die russische Sprache erstaunlich gut beherrscht und in kurzer Zeit erlernt hat.
Nach unserer Ankunft in Odessa begrüßte uns Bischof Spahlinger im Gemeindezentrum und freute sich über unsere Initiative, zum Chorkonzert und der musikalischen Gottesdienstgestaltung beizutragen. Die Hälfte unserer Reisegruppe konnte im Gästehaus neben der Kirche untergebracht werden, die anderen übernachteten in einem ehemaligen staatlichen Prunkhotel "Zentralnaja" im Zentrum.
Ein Stadtrundgang mit der sehr gebildeten Dolmetscherin Jana Alexeevna war ein Gewinn. Nachmittags probten wir unsere Chorwerke, die wir während der Winterrüstzeit im Januar 2011 in Bad Herrenalb letztmals erarbeitet hatten, für unseren Auftritt bei dem Konzert um 18 Uhr in der St. Paulskirche. Der Gemeindepfarrer Andreas Hamburg, selbst Russlanddeutscher, begrüßte als Gast den ehemaligen DELKU-Bischof und späteren Erzbischof, jetzt im Ruhestand, Dr. Edmund Ratz, der in Odessa weilte. Hamburg stellte uns vor und freute sich über unser Kommen und die Möglichkeit weitere Kontakte mit Gemeindemitgliedern zu finden. Das Konzert in der vollbesetzten großen Kirche war ein Erlebnis auch für die Chormitglieder. Es sang sich leicht im Altarraum mit der herrlichen Akustik. Das Programm wurde auf deutsch und ukrainisch angekündigt. Davor stellte Pfarrer Hermann Kraus die Kantorei ebenfalls, für uns überraschend, in ukrainischer Sprache vor. Wir sangen Chorwerke von Rheinberger, Reger, Grieg, Lungu, Meyndt/Acker und Mendelssohn. Das rumänische Lied "La Vitleem" musste auf Wunsch wiederholt werden. Unsere Dirigentin, Ilse Maria Reich, rahmte mit 2 gewaltigen Orgelwerken die Choreinlagen ein: Fantasie in g-Moll von J.S. Bach und Präludium und Fuge über BACH von F. Liszt. Die aus Bayern stammende 2-manualige Steinmeyer-Orgel funktionierte einwandfrei. Der Applaus war nach den Orgelwerken, aber auch nach jedem Chorstück groß. Nach dem Chorkonzert gab es Gelegenheit, auch mit dem Rumänischen Konsul in Odessa und einem ranghohen Gast aus Bukarest über unsere Reise zu sprechen. Zu einem Erlebnis wurde der Besuch der weitverzweigten unterirdischen Katakomben im Vorort Rubaska, mit den Zeugnissen des verzweifelten Widerstandes gegen die Nazitruppen. Der leicht zu bearbeitende Muschelkalkstein wurde von Menschenhand auch im Untergrund der Stadt Odessa als Katakomben geschaffen und genutzt. Die zweite Stadtrundfahrt bot auch Gelegenheit zu einem Bad im Schwarzen Meer in unwirtlicher, sandloser Küstenlage. Abends bestiegen wir am Bahnhof Odessa den Zug nach Simferopol und hatten Gelegenheit, die etwa 800 km per Liegewagen-Nachtfahrt in 12 Stunden zu erleben. Der herzliche Empfang durch Pastor Jörg Mahler und dem Theologiestudenten Borys Bozhedomov freute uns, nach langer Reise, sehr. Letzterer absolviert sein Hauptstudium in Hermannstadt /Siebenbürgen, und stammt aus Simferopol. Der junge und freundlich Pfarrer Jörg Mahler kennt ebenfalls Hermannstadt gut durch einen Studienaufenthalt und möchte nach der bald abgelaufenen Zeit nicht in Deutschland, sondern eher in Siebenbürgen als Pfarrer tätig werden. Er betreut auf der Krim die sieben Lutherischen Gemeinden in einem Gebiet, so groß wie etwa Bayern, durch überwiegend lange Autoreisen. Seine zweisprachigen Gottesdienste in Russisch und Deutsch erreichen ehemalige, versprengte Schwarzmeerdeutsche, die meist die deutsche Sprache nicht beherrschen. Unser gemeinsamer Gottesdienst in den Räumen eines kirchlichen Gebäudes in Simferopol, mit etwa 30 Gemeindegliedern, war beeindruckend. Pfarrer Hermann Kraus stellte uns, wieder vor und hielt auch die Lesung im Gottesdienst. Pfarrer Christian Reich hielt eine beeindruckende Predigt über Eph. 5,19-22, die von Borys Bozhedomov ins Ukrainische übersetzt wurde. Wir, der Chor, gestalteten den Gottesdienst musikalisch, z.T. mit Birgits Roth kompetenter Klavierbegleitung, die auch wohlgewählte Stücke während dem Abendmahl spielte. Beeindruckt waren wir von der Art und Weise, wie der Gottesdienst dort zweisprachig gestaltet war, mit was für einer Inbrunst und Gottvertrauen, diese etwa 30 älteren Leute, die Verkündigung in Wort und Musik annahmen. Simferopol ist die Hauptstadt der Autonomen Republik Krim und hat eine Bevölkerung von etwa 2,5 Millionen Einwohnern. Die früher blühende Landwirtschaft auf der Krim wird heute von privatisierten Produktionsgenossenschaften betrieben. Man sieht entlang der Bahnstrecke viel Brachland und großflächige, stillgelegte Bewässerungsanlagen, wenig Vieh, jedoch Gemüse und Obst zur Eigenversorgung in Dörfern. Nachmittags starteten wir mit dem Bus, 82 km quer über das Krimgebirge (1.400 m hoch) an die Küste nach Jalta, drei Tage lang begleitet von unserem jungen Freund, Pfarrer Mahler. Im mondänen Badekurort Jalta waren wir in einem der ehemaligen 170 Staatlichen Sanatorien, dem Kirov- Sanatorium, für drei Nächte untergebracht. In Jalta und an der Küste sind uns keine westlichen Touristengruppen begegnet. Dort bilden eben die betuchten Russen und Weisrussen die Touristen, wie man uns erklärte. Als Stadtführer hatten wir einen kompetenten Schwaben aus Herrenberg, Albrecht Holzapfel, den das Leben nach Jalta verschlagen hat und der dort die Evangelische Kirchengemeinschaft mit zu festigen sucht. Das miteinbegriffene Frühstück in dem riesengroßen staatlichen Sanatorium war jeden Morgen ein frustrierendes Erlebnis und eine Erinnerung an die Syndikatszuweisungen der Werktätigen in die Ferienorte unserer alten Heimat. Der Besuch des Livadia-Palastes, dem Sommersitz der Zarenfamilie mit vielen Bildern und Exponaten aus dem Besitz der Romanof's. war sehenswert. Wir staunten über den legendären großen runden Tisch, an dem vom 4.-11. Februar 1945 die Konferenz von Jalta mit Roosevelt (USA) Churchill (Großbritannien) und Stalin (UdSSR) stattgefunden hat. Hier fiel auch die Entscheidung über die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen nach dem Krieg. Sehr informativ dazu war ein laufender Dokumentarfilm über die Konferenz. Mittags hatten wir Badegelegenheit am nahen Kieselsteinstrand, an dem man dicht gedrängt auf eigenen Handtüchern lag oder eine Strandliege mietete. Wir labten uns an einer herrlich süßen Wassermelone mitten im Getümmel. Nachmittags fuhren wir mit dem Bus zum nahen Vorort Massandra, zur Besichtigung der herausragenden Weinkellerei gleichen Namens. An der 187 km langen Südküste des Schwarzen Meeres, vor und hinter Jalta, werden besonders süße Weine gekeltert, zu dem die Trauben aus 7 staatlichen Weinbaubetrieben nach Massandra angeliefert werden. Die Führung durch die historischen, wertvollen Kellereinrichtungen mit den Weinen aus jedem Jahrgang ab 1951 in Folge, sowie einem Wein-Museum mit Uraltweinen waren ein Erlebnis, ebenso wie die nachfolgende Weinverkostung mit 9 verschiedenen Weinen., wo trockene Weine und viele sehr süße Weine zu kosten waren. Unsere Reisegruppe hat sich eingedeckt mit den angebotenen und unterschiedlich teuren Weinen und, soweit bekannt, haben diese Flaschen die Reise im Koffer heil überstanden. Die Busfahrt nach Sewastopol führte uns als Abstecher zu dem Deutschen Sammelfriedhof Gontscharnoje. Auf diesem Soldatenfriedhof haben bislang 23.440 Tote ihre letzte Ruhestätte gefunden. Dort liegen 35 Namens-Bücher der vielen Toten zur Einsicht auf. Für die deutschen Gefallenen in der südlichen Ukraine und auf der Krim stellte die Stadtverwaltung Sewastopol ein 20 km außerhalb der Stadt gelegenes Grundstück für den Bau dieses Friedhofs zur Verfügung. Wir konnten sehen, wie die Umbettungsarbeiten durchgeführt werden und neue Stelen aufgestellt wurden. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. kümmert sich als gemeinnützige Organisation um die Verwaltung und Betreuung dieser Friedhöfe. Im Stadtgebiet war der Besuch der antiken Ruinenstadt Chersones bei glühender Hitze ein Erlebnis. Die Hafenrundfahrt in Sewastopol war sehenswert. Man zeigte uns große Schiffe und ihre Zweckbestimmungen auf hoher See. Das ukrainische Essen beendete den Besuch in der mit höchsten sowjetischen Auszeichnungen bedachten Stadt. Mit der Besichtigung des Worontsov-Palastes in Alupka, einem Vorort von Jalta und einem Stadtrundgang beendeten wir den Aufenthalt an der Südküste. Per Bus fuhren wir zurück nach Simferopol, nahmen Abschied von Pfarrer Mahler und bestiegen am Bahnhof den Bummelzug mit den vier Liegen pro Abteil zur Nachtfahrt nach Odessa. Morgens waren wir wieder Gäste im Haus der Kirche zu einem Frühstück nach der langen Fahrt. Es gab noch einmal Zeit zur freien Verfügung, die z.B, für den Besuch des Puschkin-Museums genutzt werden konnte. Mit vielen neuen Eindrücken und dankbar für die gelungene Chorreise, um die sich Georg Hutter, Frieder Latzina und Ilse-Maria Reich gleichermaßen organisatorisch verdient gemacht haben, kehrten wir heim. Zu erwähnen wäre noch, dass wir überall auch versucht haben, die Gemeinden und auch Privatpersonen finanziell zu unterstützen. Zum Schluss wurde dann auch das letzte verbliebene ukrainische Geld gesammelt und dem Haus der Kirche in Odessa übergeben. Ein letzter Dank gilt dem Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen für die Unterstützung und das Zustandekommen dieser einmalig schönen Reise.

Walter Klemm

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